Noch im minderjährigen Alter flüchtete S. alleine aus ihrem Herkunftsland. Sie stellte in der Schweiz ein Asylgesuch, das in Folge abgelehnt wurde, indes die vorläufige Aufnahme verfügt wurde – sie durfte vorerst in der Schweiz blieben.
Als sogenannte Unbegleitete Minderjährige (UMA) hatte sie in der Schweiz Anspruch auf Regelunterricht in einer Integrationsklasse, den sie erfolgreich abschloss. Da S. bis dahin fliessend Deutsch lernte, konnte sie daraufhin verschiedenste Praktika im Bereich der Kindererziehung und Pflege absolvieren. Noch in der Bewerbungsphase für eine Lehre wird S. von ihrem Freund schwanger. Dieser verschwindet jedoch noch vor der Geburt, verweigert die Vaterschaftsanerkennung und die Zahlung der damit verbundenen Alimente. S. muss als alleinerziehende Mutter auf eine Lehre verzichten und ist somit fortan von der Sozialhilfe abhängig. Da viele Schweizer Gemeinden die Betreuungsdienste von sozialhilfeabhängigen Flüchtlingen und Asylsuchenden an Dritte auslagern, wird S. fortan durch eine eben solche «betreut»: die ORS Service AG, die schweizweit grösste Betreuungsfirma von Flüchtlingen und Asylsuchenden.
Die ORS AG ist eine privatwirtschaftliche Unternehmung – ihr Hauptinteresse liegt in der Maximierung des eigenen Umsatzes und Gewinnes. So erzielt die ORS inklusive ihrer Tochterfirma ABS jährlich einen Umsatz von fast CHF 100 Mio. und einen Jahresgewinn von über CHF 3 Mio. – Tendenz stark wachsend. Wie schafft es eine Organisation wie die ORS AG, einen derartigen Umsatz im grundsätzlich unterfinanzierten Asylwesen zu generieren?
Einen Teil zur Erklärung kann die Geschichte von S. liefern. Die Unterstützungsansätze in der Sozialhilfe sind gesetzlich nicht festgeschrieben, sondern werden von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) nur mittels Richtlinien festgesetzt. In der Schweiz existieren zudem unterschiedliche Unterstützungsansätze, die vorwiegend im Asyl- und Flüchtlingsbereich von Relevanz sind. Die Unterstützungsansätze für Personen des Asylbereichs (also auch vorläufig aufgenommene Personen) müssen dabei von Gesetzes wegen tiefer liegen, als für alle anderen. Die genaue Festsetzung der Ansätze ist Sache der Kantone, die Verwaltung der Ausrichtung ist wiederum Sache der Gemeinden, resp. – wir ahnen es – des entsprechend mandatierten Betreuungsdienstes, hier nun der ORS Service AG.
Gemäss den kantonalen Richtlinien erhalten S. und ihr Kind zusammen nur gerade CHF 961.– als Grundbedarf pro Monat (wohingegen die SKOS einen Betrag von CHF 986.– für eine Personen alleine oder CHF 1509.– für zwei Personen empfiehlt; Tabelle S.60). S. würde auch gerne wieder Arbeiten oder ein Praktika absolvieren, jedoch verwehrt die ORS jegliche finanzielle Beihilfe für eine Kinderbetreuung, obwohl diese ebenso von der SKOS als arbeitsintegrative Massnahme empfohlen wird. Der zuständige Kanton sieht derartige Auslagen durch die Gemeinde (resp. ORS) sogar vor. Für das Verständnis hier die Übersicht:
Die ORS kassiert vom Kanton über die Gemeinde CHF 37.50 pro Tag und Person für die Betreuung, Unterbringung, Unterstützung und Verwaltung von S. und ihrem Kind. Dies ergibt CHF 2250.-/Mt. Dem gegenüber entrichtet die ORS CHF 961.-/Mt. Grundbedarf an S. und zahlt die Miete (CHF 1100.- ) direkt. Die Krankenkassenkosten werden vom Kanton direkt beglichen, haben also nichts mit der ORS zu tun. In der Summe entsteht hier bereits ein Überschuss von CHF 189.–/Mt., den die ORS einstreicht, aber S. nichts davon sieht.
Geht es um die Kinderbetreuung resp. um die Finanzierung arbeitsintegrativer Massnahmen, so würden der Gemeinde resp. der ORS auf jeden Fall kantonale Zuschüsse über CHF 400.-/Mt. (Betreuungspauschale) und auf Antrag weitere, bis zu CHF 900.-/Mt. zu Gunsten von S. zustehen. Aus dieser Rechnung resultieren einige unangenehme Fragen, wie z.B.:
Was passiert mit dem Überschuss von CHF 189.–/Mt.?
Wohin geht die Betreuungspauschale von CHF 400.–/Mt.?
Warum beantragt die ORS keine Gelder für Förderprogramme (arbeitsintegrative Massnahmen) zu Gunsten von S.? Oder werden sie an die ORS entrichtet, aber nicht für S. genutzt?
Alimente…?
Neben einer intransparenten Abrechnung besticht die ORS auch mit relativ willkürlichen, internen Richtlinien, die wiederum drastische fianzielle Folgen für S. haben können. Weil S. in einer eigenen Wohnung lebt, muss sie dreimal (!) wöchentlich bei der ORS persönlich vorbeigehen, um sicher zu stellen, dass sie sich nicht länger an einem anderen Ort aufhält. Tut sie dies nicht, so droht (wie bei allen anderen Verstössen gegen die ORS-internen Richtlinien) eine weitere Kürzung ihres Grundbedarfs um 10-30% (max. also ca. CHF 285.-/Mt.). Wohin dieses Geld im Fall einer Kürzung wohl geht…?
Stopp der Privatisierung! Keine Vergabe von Betreuungsmandaten im Asyl- und Flüchtlingsbereich an gewinnorientierte, private Firmen. Weder auf Gemeinde-, Kantons-, noch Bundesebene.
Die Unterstützungsansätze in der Sozialhilfe für vorläufig aufgenommene Ausländer*innen, Asylsuchende und abgewiesene Asylsuchende müssen sich wie bei allen anderen Personen an den SKOS-Richtlinien orientieren und dürfen diese nicht unterschreiten.
Bund, Kantone und Gemeinden führen eine mind. 3-jährige Übergangsfrist zur Aus- und Weiterbildung (inkl. Spracherwerb) für vorläufig aufgenommene Personen und anerkannte Flüchtlinge ein, die ab Erhalt der entsprechenden Bewilligung gilt und während derselben die betroffenen Personen vom Zwang zur Erwerbstätigkeit befreit sind, sofern sie dies wollen. Aus- und Weiterbildungen der betroffenen Personen gehen zu Lasten der Behörden. Zentrale Grundrechte, wie z.B. das Recht auf Familie (Familiennachzug), sind dabei unabhängig von der finanziellen Eigenständigkeit gewährleistet.